Hands-On Student Projects

Pergament in der Praxis

Versuche zur mittelalterlichen Herstellungstechnik und Oberflächenbehandlung von Pergament

Guest blog post by Anna Vogel, Master Student at the University of Freiburg in the MARS degree.

Anna Vogel studiert Mittelalter- und Renaissancestudien an der Universität Freiburg. Ihr Hauptinteressensgebiet sind die handwerklichen Techniken der historischen Buchherstellung. Im August und September 2021 bekam sie die Möglichkeit, gemeinsam mit Martin Kluge, dem Leiter für Wissenschaft und Vermittlung bei der Papiermühle Basel, nach historischen Rezepten selbst Pergament herzustellen. Die Dokumentation des Pergament-Projekts entstand im Rahmen des Vortrags Die Handschrift als Quelle, den Prof. Dr. Henrike Lähnemann im Sommersemester 2021 an der Universität Freiburg gehalten hat, und wurde betreut von JProf. Julia von Ditfurth.

Website: annavogel.ch Mail: anna.vogel@mars.uni-freiburg.de

Einleitung

„So werde ich dir sagen, dass du dies und noch vieles andere, wenn du aufmerksam bist, durch eigene Praxis weit besser erproben und erfahren kannst als durch das, was ich schreibe.“

De clarea, Burgerbibliothek Bern, Codex A 91,17, vermtl. Abtei Fleury, um 1090, zitiert nach: FUCHS, 2001, S. 39

Mit diesen Worten endet eine Anweisung zum Malen auf Pergament in dem hochmittelalterlichen Traktat De clarea. Dieser Weisung folgend, beruht die folgende Arbeit auf praktischen Experimenten, die an mehreren Tagen im August und September 2021 durchgeführt wurden. Ziel dieser Experimente war es, die mittelalterlichen Herstellungs- und Nachbehandlungsmethoden von Pergament anhand historischer Rezepte nachzuvollziehen. An vier Tagen wurden auf dem Hof Isental bei Basel eine Kalbshaut und drei Schafshäute von Martin Kluge (Basler Papiermühle) und der Autorin zu Pergament verarbeitet. Anschließend wurden auf den hergestellten Pergamenten verschiedene Versuche zur Oberflächenbehandlung durchgeführt.
Die praktischen Experimente dienten vor allem dem Zweck, mit einer gesteigerten Sensibilität auf überlieferte Quellen reagieren zu können. Um eine Handschrift vollständig zu erfassen, ist die Materialebene ein unabdingbarer Bestandteil der Untersuchung. Praktisches Hintergrundwissen kann dabei eine sehr nützliche Hilfestellung bieten, lässt sich doch die Narbenstruktur einer Pergamentseite, eine durch Rasur korrigierte Textpassage oder ein Schreiberwechsel viel sicherer erkennen, wenn man selbst den Herstellungsprozess einer Pergamentseite einmal „hautnah“ erlebt hat. Insbesondere bei der Arbeit mit Quellenschriften, die Anweisungen für Arbeits- und Werkprozesse überliefern, kann dieses Wissen außerdem auch eine wichtige Basis für das Textverständnis bilden: erst durch die eigene Erfahrung mit den verschiedenen Werkstoffen wird man ein Gefühl für ihre Verwendung entwickeln. Die „Handschrift als Quelle“ wird also auf zweierlei Weisen im Fokus stehen. Einerseits sollen Handschriften auf textlicher Ebene als Quelle für Rezepte dienen, andererseits sollen die praktischen Versuche dabei helfen, Handschriften als Quellen auf der Materialebene besser interpretieren zu können.
Als Hauptquelle für Rezepte diente dabei der im 15. Jahrhundert entstandene Liber illuministarum aus dem Kloster Tegernsee. Da darin allerdings keine Rezepte für die eigentliche Herstellung, sondern nur für die Nachbehandlung von Pergament vorhanden sind, ist diese Arbeit in zwei Teile geteilt. Der erste Teil beschäftigt sich mit dem Herstellungsprozess von Pergament und bezieht dabei die wenigen erhaltenen mittelalterlichen Rezepte ein, ohne dabei genauer auf deren Überlieferungsgeschichte einzugehen.
Der Hauptteil beschäftigt sich mit der Nachbehandlung von Pergament, stellt den Liber illuministarum als Quellenschrift vor und orientiert sich in den praktischen Versuchen möglichst eng an den dort überlieferten Rezepten.

2. Herstellungsprozess

2.1. Vorbereitung: Der Äscher
Wie oben bereits erwähnt, sind mittelalterliche Rezepte zur Herstellung von Pergament eher selten. Eine der frühesten Beschreibungen stammt aus dem 8. Jh. aus dem sogenannten Lucca-Manuskript und gibt den Prozess in aller Kürze wieder:

„ Lege (die Haut) in Kalkwasser und lasse sie dort für drei Tage; dann spanne sie auf einen Rahmen und schabe beide Seiten mit einem scharfen Messer und lasse sie trocknen. (…)”

De clarea, Burgerbibliothek Bern, Codex A 91,17, vermtl. Abtei Fleury, um 1090, zitiert nach: FUCHS, 2001, S. 39

Eine etwas ausführlichere Beschreibung ist in einer Handschrift aus der British Library erhalten, in der auch die Haarentfernung sowie das abschließende Abreiben der Pergamente mit Bimsstein erwähnt werden (London British Library, MS. Harley 3915, f.148, Deutschland, 1. Hälfte 12.Jh.). Als dritte Quelle diente uns die ebenfalls sehr knapp gehaltene Beschreibung des Konrad von Mure in seinem Werk De naturis animalium aus dem 13. Jahrhundert.
Der erste Schritt bei der Herstellung von Pergament besteht im Behandeln der rohen Häute mit Kalk, dem sogenannten Äschern. Der Kalk konserviert die Haut und bewirkt zudem, dass sich später die Haarwurzeln aus der Haut lösen lassen. Um geeigneten Kalk zu erhalten, mussten wir als Erstes gebrannten Kalk löschen. Dazu wird nach und nach Wasser zu dem Kalk gegeben, wobei sich das Gemisch in einer heftigen exothermen Reaktion (Calciumoxid reagiert zu Calciumhydroxid) stark erwärmt (Abb. 1 und 2). In historischen Quellen wird gebrannter Kalk häufig als „lebendiger Kalk“ bezeichnet und betont, dass man nicht zu viel Wasser auf einmal hinzugeben solle, weil sonst die Gefahr besteht, den Kalk zu „töten“, womit er seine Schärfe verlieren würde.
Da uns nur eine begrenzte Menge an Kalk zur Verfügung stand, entschieden wir uns, die Häute nicht nur in eine Kalkbrühe einzulegen, sondern die Häute von der Fleischseite her bereits mit der Kalkpaste einzustreichen (Abb. 3) und dann Wasser beizugeben. Dieses Vorgehen ist zwar in mittelalterlichen Rezepten nicht spezifisch beschrieben, wird aber in einer späteren Quelle aus dem 18. Jahrhundert erwähnt und hat zudem den Vorteil, dass der Kalk sicher alle Hautpartien erreicht, ohne dass die Häute regelmäßig gewendet werden müssen.
Die drei Schafshäute bestrichen wir jeweils von der Fleischseite her mit Kalk, die große Kalbshaut zerschnitten wir in zwei Teile, um sie später in die Rahmen spannen zu können, und entschieden uns dafür, sie einmal von der Haarseite, einmal von der Fleischseite aus mit der Kalkpaste zu bestreichen. Anschließend falteten wir die Häute über die Fleischseite und ließen sie in zwei Fässern zwölf Tage lang ruhen.

Abb. 1-3: gebrannter Kalk vor (links oben) und nach dem Löschen (links unten), sowie die mit der Kalkpaste bestrichene Kalbshaut

2.2 Das Abschaben der Haare
Wie lange die Häute im Kalkbad liegen bleiben müssen, variiert stark. Während im Lucca-Manuskript von drei Tagen die Rede ist, werden die Häute bei der Handschrift aus der British Library (MS. Harley 3915) acht Tage in Kalk und zwei Tage in klares Wasser eingelegt. Die Dauer ist von verschiedenen Faktoren wie der Konzentration des Kalks, der Hautdicke und der Temperatur abhängig. Da in der Basler Papiermühle schon zwei Mal vorher Pergament hergestellt worden ist, konnten wir auf die dort gemachten Erfahrungen zurückgreifen und wussten, dass die Häute eher etwas länger als die in den historischen Quellen angegeben drei, acht bzw. zehn Tage im Kalk liegen bleiben müssen. Die Vorbereitung zwölf Tage vorher erschien uns daher sinnvoll.
Nach dem Äschern können in der Regel die Haare entfernt werden, indem sie mit dem länglichen Haareisen abgestreift werden. Beim Öffnen der Fässer stellten wir allerdings fest, dass die Schafwolle einen Großteil des Wassers aufgesogen hatten, so dass die zwei oberen Häute wenig von der Feuchtigkeit behalten hatten. Nur die unterste Haut lag noch ganz in der Kalkbrühe. Entsprechend ließen sich nur bei der zuunterst liegenden Haut die Haare gut entfernen, die Haare der zwei oberen Häute ließen sich dagegen noch sehr schwer lösen. Deshalb entschieden wir uns, diese Häute bis zum nächsten Wochenende nochmals in Sumpfkalk einzulegen. Sumpfkalk ist eine Aufschlämmung von gelöschtem Kalk in Wasser und weniger aggressiv als frisch gelöschter Kalk.
Auch beim Kalbsfell ließen die Haare sich noch nicht an allen Partien wie gewünscht abstreifen. Seltsamerweise stellten wir einen Unterschied zwischen den weißen und schwarzen Partien des Fells fest: während die Haare sich im weißen Bereich meist problemlos entfernen ließen, waren sie im schwarzen Bereich sehr viel hartnäckiger (Abb.4).

Abb. 4 und 5: Links: Kalbshaut beim Abstreifen der Haare: im weißen Bereich haben sie sich bereits vollständig gelöst, im schwarzen sind immer noch Reste vorhanden. Rechts: Eine Schafshaut im Vergleich. Hier lässt sich schön das unterschiedliche Porenbild erkennen: während die Porung beim Kalb gleichmäßig verteilt ist, bildet sie bei der Schafshaut Wellen.

Diese Beobachtung führte uns zu der Frage, ob die Häute von Fleckvieh überhaupt zur Pergamentherstellung verwendet wurden. Nicht nur die erschwerte Haarentfernung, sondern auch die dunkle Tönung der Haut in diesen Bereichen stellt ein Problem dar. Da die Pigmentierung der Haut nur in der obersten Hautschicht, der Epidermis, vorhanden ist, lässt sich die dunkle Tönung zwar durch die Entfernung dieser Hautschicht beheben. Die Epidermis ist aber durchaus nicht bei allen Pergamenthandschriften entfernt worden, gerade bei Gebrauchshandschriften ist sie oft zumindest im Ansatz noch vorhanden. Es ist daher zu vermuten, dass gefleckte und dunkelhäutige Tiere bei der Handschriftenherstellung eher vermieden wurden.
Auch die Kalbshaut wurde erneut in Sumpfkalk eingelegt und dort weitere zwölf Tage belassen. Danach ließen sich die Haare sowohl beim Kalb als auch bei den Schafen größtenteils gut entfernen.

Abb. 6 und 7: Die Kalbshaut beim Enthaaren auf dem Schabebock sowie eine fertig enthaarte Schafshaut

2.3 Das Aufspannen
Nachdem die Haut vollständig abgeschabt ist, kann sie aufgespannt werden. Das Aussehen mittelalterlicher Spannrahmen lässt sich durch Bildquellen erschliessen. Die zwei aussagekräftigsten Darstellungen eines Pergamenters stammen aus den Mendelschen Hausbüchern und aus der Hamburger Bibel. (Vgl. die Miniaturen in: Mendelsche Hausbücher (Mendel I), Amb. 317.2° , fol. 34v; Hamburger Bibel, Königliche Bibliothek Kopenhagen, MS, GKS 4, vol. I-III, 2°, fol. 183v.)
Zum Spannen werden in die Hautenden kleine Steinchen eingeschlagen und mit einer Schnur umwickelt. Die Schnüre lassen sich durch Wirbel, die in den Rahmen eingesteckt werden, nachspannen. Ein regelmäßiges Nachspannen ist für eine gleichmäßig glatte und opake Pergamentoberfläche extrem wichtig. Durch die Spannung werden nämlich die Kollagenfasern der Haut auseinandergezogen und lockern sich. Dadurch kann sich in den Zwischenräumen Luft einlagern und die Haut wird weiß. Unaufgespanntes Pergament bleibt durchsichtig. Man beginnt beim Aufspannen der Haut mit dem Rücken, das erste Seil sitzt bei der Halspartie, das zweite am unteren Ende im Schwanzbereich, danach wird die Haut gleichmäßig von beiden Seiten her gespannt. Beim Aufspannen der Kalbshaut hatten wir aufgrund ihrer Dicke große Probleme, Steine in die Hautränder einzuschlagen und mussten sie teilweise an den Seiten einschneiden, um die Schnüre befestigen zu können. Dies führte uns vor Augen, was für eine große Rolle das Alter der Tiere bei der Pergamentherstellung spielt. Das Tier, dessen Haut wir verwendeten, war wahrscheinlich schon etwas älter und die Haut somit eigentlich schon ungeeignet für die Verarbeitung zu Schreibpergament.

Abb. 8-10: Befestigung der Haut mittels eines eingeschlagenen Steines (oben links), Entfernung von Fettresten mittels eines gebogenen Messers (unten links), im Spannrahmen aufgespannte Schafshaut (rechts)


Nach dem Aufspannen wird die Fleischseite mittels des Lunellariums, eines halbmondförmigen Messers, abgeschabt. Dabei tritt ein milchiger Saft, bestehend aus Kalkwasser und verseiftem Hautfett, aus (Abb. 11). Auch restliche Fleischreste können dabei entfernt werden. Auf diese Weise lassen sich dickere Partien ausgedünnen und den Pergamenten kann so eine möglichst einheitliche Stärke verliehen werden.
Während die Haut feucht ist, ist sie noch so flexibel, dass die Außenränder von Löchern zusammengezogen und vernäht werden können. Die Fäden solcher Nähungen sind durch das nachträgliche Schleifen meist nicht im Pergament verblieben, oft lassen sich jedoch noch die Löcher erkennen. Ziernähte in bunten Farben, wie sie sich in vielen Handschriften finden, sind dagegen wahrscheinlich erst nach der Trocknung des Pergamentes angefertigt worden. Der Trocknungsprozess dauert je nach Wetter und Dicke der Haut einige Stunden bis hin zu mehreren Tagen.

Abb. 11: austretende Kalkmilch (links oben), Nähung von einem Loch im noch feuchten Pergament (links unten), Bearbeitung der Haut mit dem Lunellarium (rechts)

3. Techniken der Nachbehandlung

Nach dem eigentlichen Herstellungsprozess sind die Pergamente für das Beschreiben meist noch ungeeignet: auf zu fettigen Partien kann die Tinte abgestoßen werden, auf zu glatten Bereichen verfließt sie, während bei einer zu rauen Oberfläche die Feder nicht präzise geführt werden kann. Entsprechend zahlreich sind die Klagen der Schreiber über unzulängliches Material: „Flüssige Tinte, neues Pergament, ich sage nichts mehr“, beschwert sich beispielsweise der Skriptor einer Handschrift aus dem Kloster St. Gallen über die schlechten Schreibbedingungen, mit denen er zu kämpfen hatte (Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 904, S. 217, zitiert nach SCHNOOR, 2013, S. 53). Um auf die unterschiedlichen Probleme, die unbehandeltes Pergament mit sich bringen konnte, reagieren zu können, wurde in den Skriptorien eine Vielzahl an Methoden entwickelt. Einige ausgewählte Rezepte aus dem oben bereits erwähnten Liber illuministarum sollen im folgenden Teil ausgewertet werden.

3.1 Der Liber illuministarum als Quellenschrift
Der Liber illuministarum ist die wohl umfangreichste Rezeptsammlung zur mittelalterlichen Kunsttechnologie, die bis heute erhalten ist. Entstanden ist sie in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts im Skriptorium des Klosters Tegernsee, wo sie im Verlauf mehrerer Jahre von insgesamt acht verschiedenen Schreibern geschrieben wurde. Heute wird der Liber illuministarum in der Bayerischen Staatsbibliothek unter der Signatur Codex germanicus manuscriptus (Cgm) 821 aufbewahrt.
Der 231 Blätter umfassenden Codex ist im Stil einer einfachen Gebrauchshandschrift einspaltig und ohne Linierung geschrieben. Bei der Schriftart handelt es sich um verschiedene Bastarden, der Beschreibstoff ist Papier. Im Laufe des 16. Jahrhunderts wurden die Lagen in einen schlichten Pergament-Koperteinband eingebunden. Auf diesem Einband ist in verblasster Tinte der später hinzugefügte Titel der Handschrift erhalten:

„Liber illuministarum pro fundamentis auri et coloribus ac consimilibus collectus ex diversis”

(Ein Buch von/für Buchmaler, über Goldgrundierungen, Farben und Verwandtes, aus verschiedenen [Quellen] zusammengestellt.)

Zitiert nach: BARTL, 2005, S.51

Leider ist die Handschrift nicht vollständig erhalten. Sowohl am Beginn des Codex, als auch innerhalb der weiteren Lagen sind Blätter herausgetrennt worden.
Dennoch ist die Rezeptsammlung in ihrem Umfang und ihrer Überlieferungsbreite einzigartig. Der Liber illuministarum umfasst unter anderem Anweisungen zur Farbherstellung, Tintenzubereitung, zur Vergoldung und Versilberung, zur Beschreibgrundbereitung, zur Herstellung von Bindemitteln, Klebstoffen und Firnissen, zur Verarbeitung von Pergament, Papier und Leder, sowie verschiedene Färberezepte für Leder und Textilien. Allein für die Herstellung von Eisengallustinte sind im Liber illuministarum 32 unterschiedliche Rezepte enthalten. Neben diesen Vorschriften für Kunst- und Werktechniken, die Arbeiten im Skriptorium betreffen, enthält die Handschrift verschiedene medizinische, magische und kosmetische Rezepte, die sich vor allem im hinteren Teil des Codex finden.
Die „verschiedenen Quellen“, aus denen die Rezepte des Liber illuministarums zusammengestellt wurden, lassen sich in drei verschiedene Bereiche einteilen: einerseits übernimmt der Liber illuministarum – teils wortgenau – Rezepte aus anderen spätmittelalterlichen Sammlungen aus dem Gebiet des Oberrheins und Böhmens. Andererseits werden mündlich oder schriftlich übermittelte Rezepte aus befreundeten Klöstern in die Sammlung aufgenommen. Manchmal wird dabei die Quelle der Information direkt genannt, beispielsweise wird ein Bruder Michael aus Melk bei einer Liste für Farbharmonien angegeben. Drittens ist außerdem anzunehmen, dass auch Erfahrungen aus der Werkstattpraxis des Klosters Tegernsees selbst in die Sammlung eingeflossen sind. (Vgl. BARTL, 2005, S. 28ff)
Die im Liber illuministarum überlieferten Rezepte zur Pergamentherstellung behandeln , wie oben bereits erwähnt, vor allem die Nachbehandlungsmethoden für Pergament. Dazu zählt die Herstellung von Schleifbroten und unterschiedlichen Schreibpulvern ebenso wie die Schriftentfernung auf bereits beschriebenen Pergamentseiten oder die Produktion von transparentem Pergament.

3.2 Bimsstein
Der Bimsstein als das wohl wichtigste Mittel der Nachbehandlung ist nicht nur diverse Male im Liber illuministarum, sondern auch in den meisten anderen Rezepten zur Herstellung von Pergament erwähnt. Bei Bimsstein handelt es sich um eine schwammige Abart des Obsidians, eines Vulkangesteins. In Ms. Harley dient der Bimsstein als Mittel zur Fleischentfernung, aufgrund seiner rauen Oberfläche eignet er sich jedoch auch hervorragend zum leichten Aufrauen von Pergament, wodurch zu glatte Flächen beschreibbar gemacht werden können. In einer weiteren Quelle wird darauf hingewiesen, dass die Schrift ohne die Behandlung mit Bimsstein nicht haltbar und alle Arbeit vergeblich gewesen sei. Tatsächlich können Tinte und auch Malfarben von zu glatten Pergamentflächen leicht abplatzen, weil die Tinte – anders als bei Papier – nicht so weit durch die Fasern dringt, sondern auf der Oberfläche stehen bleibt. Aus dem selben Grund lassen sich Schreibfehler auf Pergament durch Rasuren leicht korrigieren, während dies auf Papier unmöglich ist.

Abb. 12: Bimssteine aus Italien
Abb. 13 und 14: Schriftprobe auf einem mit Bimsstein geschliffenen Stück Kalbspergament

3.3 Schleifbrote
Als Ersatz für Bimsstein kann man auch sogenannte Schleifbrote verwenden, für deren Herstellung sich ebenfalls ein Rezept im Liber illuministarum findet. Eine ähnliche Anweisung findet sich außerdem auch in einem englischen Manuskript aus dem 14. Jahrhundert (Ms. Sloane). Laut dem Liber illuministarum backt man die Schleifbrote aus einer Mischung aus Glaspulver, ungelöschtem Kalk, Getreidemehl, Eiklar und Bierhefe. Die Zutaten in Ms. Sloane sind ähnlich, allerdings wird hier gelöschter Kalk verwendet, das Mehl ist als Weizenmehl spezifiziert und die Bierhefe fehlt in dem Rezept. Die Zutaten sollen miteinander zu einem Teig verknetet, dieser einen Tag stehen gelassen, nochmals verknetet und schließlich wie gewöhnliches Brot gebacken werden. Im Liber illuministarum ist noch vermerkt, dass diese Schleifbrote besser seien als gewöhnlicher Bimsstein.
Beim ersten Versuch konnte die Bierhefe nicht verwendet werden. Außerdem wurde wohl zu wenig Flüssigkeit beigegeben: der Teig war nach dem Ruhen bereits so fest, dass er nicht noch einmal verknetet werden konnte. Nach dem Backen waren die Brote steinhart, sodass sie sich beim Schleifen nicht abreiben ließen. Beim zweiten Versuch, dieses mal mit Bierhefe und einem größeren Eiweißanteil bildete das Schleifbrot beim Backen so starke Risse, dass es beim Schleifen auseinanderbrach. Gleichzeitig war es noch immer relativ hart und eignete sich zwar zum Entfernen der Fleischreste, war jedoch für eine gleichmäßige Oberflächenbehandlung der Haarseite nicht geeignet, da es dort starke Kratzspuren hinterließ. Der Anteil an Eiweiß und Bierhefe ist im Rezept des Liber illuministarums nicht angegeben, weshalb beim zweiten Versuch der Eiweißanteil gemäß dem Ms Sloane zu gleichen Teilen wie die anderen Zutaten beigegeben wurde. Die Rißbildung lag wahrscheinlich an einem zu hohen Anteil Bierhefe.
Ein dritter Versuch wurde bisher noch nicht unternommen. Die Schwierigkeiten, mit denen wir während des Backens konfrontiert wurden, zeigten uns in diesem Fall, dass die Umsetzung von historischen Rezepte experimentell aufwendig und langwierig sein kann. Um das gewünschte Ergebnis zu erzielen, werden weitere Versuche erforderlich sein.

Abb. 15-18: Herstellung der Schleifbrote: die Zutaten, Kneten des Teiges, die Schleifbrote beim Trocknen und nach dem Backen

3.4 Schreibpulver
Um die Beschreibeigenschaften von Pergament zu verbessern, sind im Liber illuministarum auch mehrere Pulver zur Oberflächenbehandlung angegeben. Unklar ist bei einigen der Rezepte, ob das Pulver bereits vor dem Schreibprozess auf das Pergament aufgerieben wurde oder, wie die Editoren des Liber illuministarum vermuten, erst nachträglich als eine Art „Streusand“ auf die noch feuchte Schrift gestreut wurde. In den praktischen Versuchen wurde die vorherige Präparation des Pergaments gewählt, erstens weil dies bei einigen Rezepten ausdrücklich angegeben wird (während für die nachträgliche Streusand-Theorie kein Textbeleg existiert), zweitens weil ein nachträgliches Bestreuen der feuchten Tinte mit dem hellen Pulver die dunkle Tintenfarbe erheblich beeinträchtigt. Für die Schreibproben wurde ausnahmsweise kein selbst hergestelltes Pergament verwendet, weil dieses durch den relativ hohen Kalkgehalt auch unbehandelt recht gute Beschreibeigenschaften bestitzt. Stattdessen wurden die Schreibversuche auf einem Pergament von der Pergament- und Trommelfellfabrik in Altenburg durchgeführt, das eine sehr glatte Oberfläche besaß, auf dem die Schrift ohne Behandlung zu schnell aus der Feder floß und keine feinen Haarstriche möglich waren. (siehe Abb. 21 Probe 1). Alle Proben wurden mit Eisengallustinte und einem Gänsekiel geschrieben.
• Mastix
In einem Rezept des Liber illuministarum wird als Schreibpulver Mastix, das Harz des Mastixstrauches (Pistacia lentiscus L.), verwendet (BARTL, 2005, Rezept [76]). Dieses soll in einem Mörser fein zermahlen werden und anschließend in einen Becher oder eine Papiertüte gegeben werden, über die ein Leinentuch geschlagen wird. Auf diese Weise erhält man eine Art Streuer, durch die nur die feinsten gemahlenen Körner auf das Pergament gelangen und gröbere Teile von dem Gewebe zurückgehalten werden. Beim Einreiben mit Mastix muss auf eine geringe Dosierung geachtet werden, da die Tinte ansonsten abgestoßen wird und das Pulver die Feder verstopft. Beim ersten Versuch (siehe Abb. 19) wurde zu viel Mastix aufgetragen, wodurch das Schreiben durch die pudrige Oberfläche erschwert wurde und die Schattenstriche jeweils beim Absetzen der Feder brachen. Bei einer kleineren Menge Mastix ist dieses Mittel jedoch gut geeignet. Ein schöner Nebeneffekt bei der Verwendung von Mastix ist außerdem die Aufhellung, die das Pergament durch das weiße Pulver erfährt und die eventuelle Verfärbungen und Fleckigkeit bis zu einem gewissen Grad nivellieren. Durch das Harz kann auch die meist gelblichere Haarseite der helleren Fleischseite angeglichen werden. (siehe Abb. 20)

Abb.19: Schriftprobe auf einem mit einer zu großen Menge Mastix eingeriebenen Pergament: die Tinte wird abgestossen, so dass sich die Schattenstriche spalten. Abb. 20: Pergamentprobe mit durch Schreibpulver aufgehellte Oberflächen. Links ist die natürliche Farbe zu sehen, in der Mitte wurde eine Kreidemischung (siehe unten) aufgetragen und rechts Mastix

• Bernstein
Als Alternative zu Mastix wird im selben Rezept Bernstein genannt. Anders als Mastix, das sich im Mörser leicht zerkleinern lässt, ist Bernstein schwieriger zu zermahlen. Beim Schreiben wurde der Tintenfluss leicht gebremst, ein wesentlicher Effekt konnte jedoch nicht festgestellt werden.
Bei dieser Schreibprobe wurde außerdem festgestellt, dass die Tinte beim direkten Schreiben auf der Blindlinierung am unteren Ende der Buchstaben manchmal in die leicht vertiefte Rille fließt, was sich negativ auf das Schriftbild auswirkt (siehe Abb. 1, Probe 3, Detail). Bei mittelalterlichen Handschriften lässt sich beobachten, dass die Schrift (vermutlich aus diesem Grund) oft etwas über der Grundlinie schwebt.
• Hirschbein und Weihrauch
Weitere Möglichkeiten für verschiedene Schreibpulver finden sich in einem anderen Rezept. (BARTL, 2005, Rezept [451]) Dort wird als erstes eine Kombination aus fünf Lot Hirschbein mit einem Lot Weihrauch genannt. Nach dem Aufreiben dieses Pulvers verhielt sich das Pergament jedoch nahezu wie an unbehandelten Stellen und der Tintenfluss war schwer zu kontrollieren.
• Eierschale, Kreide und Eiweiß
Diese Kombination findet sich ebenfalls in einem weiteren Rezept des Liber illuministarum (BARTL, 2005, Rezept [100]). Dort ist die Herstellung des Pulvers genauer beschrieben: die Zutaten werden miteinander vermischt und nach dem Trocknen wieder fein gerieben. Mithilfe dieser Mischung ließ sich bei der Schriftprobe sehr gut schreiben. Es ermöglichte eine sehr präzise, feine Linienführung und setzte der Feder einen angenehmen Widerstand entgegen. Eine Aufhellung der Oberfläche erfolgte auch hier. Allerdings darf, genau wie bei Mastix, nicht zu viel Pulver aufgetragen werden, da ansonsten die Feder verstopft. Darauf weist auch eine Anweisung aus der Quellenschrift De Clarea aus dem 11. Jh. hin. Darin wird empfohlen, die überschüssige Kreide fürs Schreiben durch starkes Klopfen von der Pergamentoberfläche zu entfernen und beim Malen mit dem Finger erst die entsprechende Stelle zu reinigen.

Abb. 21: Schriftproben 1. unbehandelte Pergamentoberfläche 2. Mastix 3. Bernstein 4. Hirschbein und Weihrauch 5. Kreide, Eierschale und Eiweiß. Als weiterer Text hinter der Federprobe wurde ein Schreiberspruch aus einer St. Galler Handschrift gewählt (dt. „Ist das Buch zu End gebracht, der Schreiber einen Luftsprung macht“ (vgl. OCHSENBEIN, 1994, S. 60)
Abb. 22: Die verschiedenen Schreibpulver, in Klammern steht die Nummer der jeweiligen Schriftprobe

3.5 Malgrundbehandlung
Nicht nur für die Beschreibbarkeit, sondern auch zur besseren Haftung der Malfarben auf dem Pergament gibt es im Liber illuministarum ein Rezept (BARTL, 2005, Rezept [1210a]). Man soll eine dünne Schicht von mit Speichel vermischtem Bleiweiß über der Vorzeichnung auftragen. Aufgrund der hohen Giftigkeit von Bleiweiß (Giftklasse 2), wurde entschieden, das Rezept stattdessen mit dem modernen Pigment Titanweiß auszuführen, das ähnliche Eigenschaften besitzt, aber ungiftig ist. Als Vorlage wurde eine Ranke aus einem Psalter, der im Kloster Tegernsee angefertigt wurde, gewählt. Er ist Anfang des 16. Jahrhunderts – und damit nur kurz nach dem Liber illuministarum – entstanden. (Psalteria et cantica ferialia cum antiphonis; accedunt Cantica uaria [u.a.] , Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 19201, Benediktinerabtei Tegernsee, 1514-15, f. 95v)
Gemäß dem Rezept wurde als Erstes die Vorzeichnung angefertigt und diese anschließend mit einer dünnen Schicht Titanweiß überstrichen. Spucke wirkt aufgrund der darin enthaltenen Proteine wie ein Netzmittel und bewirkt daher eine bessere Haftung der Farben auf dem Pergament. Vergleichsweise wurde ein Versuch mit mit Wasser gemischtem Titanweiß gemacht, dieses wurde von der Oberfläche leichter abgestoßen und perlte. Auf dem dünnen Überzug ließen sich die weiteren Malfarben ohne Probleme auftragen. Die Methode einer ersten dünnen „Grundierungsschicht“ könnte nicht nur bei glatten Pergamenten, sondern auch bei eher rauen Oberflächen eingesetzt worden sein, weil dadurch die Fasern einheitlich geglättet werden und den Pinsel nicht behindern.

Abb. 23 (links): Malversuch. Als Farbmittel wurden historische Farben (Malachit, Azurit, Rotholzlack, Aurum musicum, Schwertliliensaft, Bleizinngelb und Flammruß) verwendet. Abb. 24 und 25 (rechts): Details aus Abb. 23

3.6 Schriftentfernung
Im Liber illuministarum haben sich zwei sehr interessante Rezepte zur Entfernung von Schrift auf bereits beschriebenen Pergamentblättern erhalten (BARTL, 2005, Rezepte [100] und [1223]). Eine Handschrift auf solchem gewissermaßen „recyceltem“ Pergament wird als Palimpsest bezeichnet. Zur Schriftentfernung gab es verschiedene Methoden. Die einfachste Möglichkeit war es, die Schrift mittels eines scharfen Messers vom Pergament abzukratzen. Diese Methode, die häufig bei einzelnen falsch geschriebenen Wörtern während des Schreibprozesses ausgeführt wurde, ist jedoch für die Schriftentfernung bei einer ganzen Handschrift relativ zeitaufwendig und dünnt das Pergament zudem stark aus. Eine weitere Möglichkeit bestand darin, die Schrift mithilfe einer Lauge vom Pergament abzuwaschen. Die Herstellung einer solchen Lauge ist in den beiden Rezepten aus dem Liber illuministarum beschrieben.
Für den praktischen Versuch wurde das erste der Rezepte ausgewählt. Darin wird diese Lauge aus Kalk, Mehl, Eierschalen und Wasser angerührt. Die entsprechenden Seiten werden dann für sechs Tage darin eingelegt, danach erneut aufgespannt und mit einem Messer bearbeitet. Bereits beim Herausnehmen des Probestückes aus der Lauge konnten wir feststellen, dass die Schrift nicht mehr schwarz war, sondern einen bräunlichen Ton angenommen hatte und sich bereits bei leichtem Darüberreiben mit einem Gummihandschuh zu lösen begann. Zum Aufspannen verwendeten wir statt den mit Schnur umwickelten Steinchen Metallklammern, weil die Haut nach einmaligem Aufspannen nicht mehr ihre alte Flexibilität erreicht und sich Steine nicht mehr einschlagen lassen. Eine andere Möglichkeit wäre das Einschneiden der Haut an den Rändern oder die Verwendung von Holzstäbchen, die durch Einschnitte in der Haut geführt werden. Mithilfe eines Messers wird die Schrift abgeschabt, allerdings lässt sie sich, anders als bei der trockenen Entfernung, schon mit sehr geringem Druck lösen.
Auch hier ist das regelmäßige Nachspannen sehr wichtig: als wir das Probestück aus dem provisorischen Rahmen entnehmen wollten, stellten wir fest, dass es im oberen Bereich einen Teil seiner Opazität verloren hatte und leicht transparent geworden war. Durch das abschließende Einreiben mit der bereits oben beschriebenen Pulver-mischung aus Eierschale, Eiweiß und Kreide ließ sich diese Transparenz zumindest etwas verringern. Die Beschreibbarkeit des Pergamentstückes beim neuen Beschriften war sehr gut, die vorherige Schrift war nur stellenweise noch ganz leicht im Hintergrund erkennbar.

Abb. 26: Das Pergamentstück in der Lauge. Die Schrift ist dunkelbraun geworden und beginnt sich schon beim einfachen Darüberreiben zu lösen. Abb. 27: Nach der Bearbeitung mit einem runden Messer. Die Tinte lässt sich sehr leicht vom Pergament entfernen.
Abb. 28: Die getrocknete und mit der Kreidemischung eingeriebene Haut Abb. 29: Erneut beschriftet. Die alte Schrift ist im unteren Bereich noch blass zu erkennen.

4. Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das praktische Arbeiten sehr lehrreich war und eine gute Möglichkeit darstellt, die Herstellungsprozesse richtig verstehen zu können und ein Gespür für unterschiedliche verwendete Materialien zu entwickeln. Die verschiedenen Arbeitsschritte auf Grundlage der historischen Rezepte selbst auszuführen hat einerseits gezeigt, dass sich diese Prozesse auch heute noch größtenteils gut nachvollziehen lassen, andererseits sind jedoch auch eine Reihe von Problemen aufgetaucht, die jeweils zu lösen waren. Wie wichtig die Aneignung eines praktischen Grundwissens bei der Herstellung von Pergament ist, haben beispielsweise die Probleme beim Äschern bzw. der Haarentfernung gezeigt. Die richtige Menge an Kalk sowie die genaue Zeit des Einlegens ist in den historischen Rezepten entweder nicht angegeben oder sehr unterschiedlich. Dies ist jedoch keineswegs als eine bloße Ungenauigkeit der Überlieferung anzusehen. Vielmehr sind diese Faktoren so stark von der Beschaffenheit der Häute sowie der Temperatur abhängig, dass sich genaue Angaben garnicht machen lassen. Ob die Häute bereit zum Enthaaren sind oder nicht, lässt sich jeweils nur individuell vor Ort bestimmen – und beruht damals wie heute auf der Erfahrung des Pergamenters.
Andere Schwierigkeiten, mit denen wir nicht gerechnet hatten und die besonders bei der Kalbshaut auftraten, machten uns bewusst, wie wichtig die Auswahl des Materials vor dem eigentlichen Herstellungsprozess ist. Durch ihre Dicke ließ sich die Kalbshaut nur schwer bearbeiten und war stellenweise zur Pergamentherstellung nicht geeignet. Allerdings führte dies zu der Überlegung, wie diese Reste anderweitig verwertet werden könnten und mündete in ein neues Projekt, das in den nächsten Monaten stattfinden soll. Dabei soll daraus Pergamentleim gekocht und damit Papier geleimt werden.
Auch die Untersuchungen zur Nachbehandlung waren sehr interessant. Sie haben gezeigt, dass der Prozess des Pergamentmachens nach dem eigentlichen Herstellungsprozess noch lange nicht abgeschlossen ist und genauso viel Zeit in Anspruch nehmen kann wie das Enthaaren, Aufspannen und Schaben. Gerade bei Handschriften, bei denen die Fleisch- und Haarseite kaum zu unterscheiden sind und deren Pergamentblätter gleichmäßig fein aufgeraut wurden, muss das nachträgliche Schleifen extrem aufwendig gewesen sein. Die sich bei der Verwendung von Schleifpulvern ergebende Aufhellung der Oberfläche könnte ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Sie war, ebenso wie die Beobachtung, dass der Abstand zwischen der Blindlinierung und den Buchstaben beim Schreiben durchaus einem bestimmten Zweck dient, eine wertvolle Nebenerkenntnis aus der Untersuchung der verschiedenen Schreibpulver. Außerdem konnte bei diesen Versuchen die besonders gute Eignung der Mischung aus Kreide, Eiweiß und Eierschale als Schriftuntergrund festgestellt werden, was der häufigen Erwähnung des Einkreidens in historischen Quellen entspricht.
Die Malgrundierung aus Bleiweiß, deren Nutzen experimentell ebenfalls bestätigt werden konnte, könnte neben seiner Funktion als glättende Basisschicht auch als weißer Reflektor für dunklere Farben gedient haben, die sonst auf dunkleren Pergamentflächen manchmal nahezu schwarz wirken können. Da sie in der Regel übermalt wurde, dürfte sich die Häufigkeit ihrer Verwendung in der Buchmalerei nur schwer feststellen lassen. Ob sie bei unvollendeten Handschriften teilweise vorhanden ist, wäre allerdings eine spannende, weiterführende Untersuchung.
Zuletzt war auch der Versuch zur Palimpsestierung einer Pergamentseite sehr interessant, da Eisengallustinte sich in der Regel nur schwer entfernen lässt. Für die Schriftentfernung eine Lauge zu benutzen, stellt eine gute Möglichkeit dar, ganze Seiten zu „recyceln“. In der Fachliteratur wird dieses Vorgehen als Alternative zum Abschaben der Schrift mit einem Messer jedoch selten erwähnt.
Abschließend hat sich die zu Beginn zitierte Vorraussage aus dem Traktat De Clarea, dass man durch eigene Praxis weitaus mehr lernen und erfahren könne, als nur aus dem darüber Geschriebenen, vollkommen bewahrheitet. Außerdem wird man auf diese Weise mit dem wunderbaren Gefühl belohnt, auf selbst hergestelltem und nachbearbeitetem Pergament schreiben zu können. Wohl kein anderer Beschreibstoff erlaubt so präzise und gleichzeitig so leicht gleitende Schreibbewegungen wie dieser bedeutendste Schriftträger des Mittelalters.

Weblinks provided by Caroline Danforth

cf. her blog post on translating art historical literature on parchment and paper from German

Literaturverzeichnis

Primärquellen
DE CLAREA, um 1090
Überlieferung: Burgerbibliothek Bern, Codex A 91,17, vermtl. Abtei Fleury, um 1090
Edition: Straub, Rolf: Der Traktat de Clarea in der Burgerbibliothek Bern, in: Jahresbericht 1964 des Schweizerischen Instituts für Kunstwissenschaft, S. 93ff, Zürich, 1965
DE LA LANDE, 1762
De la Lande, J.J.F: Art de faire le parchemin, 1762; dt. Ausgabe: Bruns, Alfred: Die Kunst, Pergament zu machen, nach dem Text von J. J. F. de la Lande übersetzt und kommentiert von Johann Heinrich Gottlob von Justi 1762, Münster, 1984
DE NATURIS ANIMALIUM, 13. Jh.
Überlieferung: Bern, Burgerbibbliothek 462, 13. Jh. (Originalsprache: Latein)
Edition: Orbán, Árpád Peter (Hrsg.): Konrad von Mure. De naturis animalium, Editiones Heidelbergenses, Band XXIII, Heidelberg, 1989
LIBER ILLUMINISTARUM, um 1500
Überlieferung: Bayerische Staatsbibliothek München, Cgm. 821, Kloster Tegernsee, um 1500 (Originalsprachen: Frühneuhochdeutsch in bairischen und schwäbischen Mundarten, Latein)
Edition: Bartl, Anna; Krekel, Christoph u.a.: Der „Liber illuministarum“ aus Kloster Tegernsee: Edition, Übersetzung und Kommentar der kunsttechnologischen Rezepte, Stuttgart, 2005
LUCCA-MANUSKRIPT, 8. Jh.
Überlieferung: Lucca-Manuskript/ Compositiones ad tingenda musiva, Lucca, Kapitularbibliothek, Cod. Carol. 490, 8. Jh. (Originalsprache: Latein)
MS HARLEY, 12. Jh.
Überlieferung: British Library, London, MS. Harley 3915, Deutschland, 1. Hälfte 12.Jh. (Originalsprache: Latein) MS SLOANE, 14.Jh.
Überlieferung: British Library, London, MS Sloane 2584, 14.Jh (Sammelhandschrift mit zusammengebundenen Texten aus unterschiedlichen Jahrhunderten), (Originalsprache: Mittelenglisch)

Sekundärquellen
BARTL, Anna; Krekel, Christoph u.a.: Der „Liber illuministarum“ aus Kloster Tegernsee: Edition, Übersetzung und Kommentar der kunsttechnologischen Rezepte, Stuttgart, 2005
BECKER, Julia, Licht, Tino: Pergament, in: Materiale Textkulturen, Berlin, 2015
FUCHS, Robert u. a.: Pergament: Geschichte – Material – Konservierung – Restaurierung, München, 2001
KLUGE, Matthias: Handschriften des Mittelalters – Grundwissen Kodikologie und Paläographie, 3. Auflage, 2019
RÜCK, Peter (Hrsg.): Pergament: Geschichte – Struktur – Restaurierung – Herstellung, Sigmaringen, 1991
OCHSENBEIN, Peter u.a. : Vom Schreiben im Galluskloster – Handschriften aus dem Kloster St. Gallen vom 8. bis 18. Jh., St. Gallen, 1994
SCHNOR, Franziska u.a. : Schafe für die Ewigkeit – Handschriften und ihre Herstellung, St. Gallen, 2013
SCHWEDT: Grundlagen der Buchrestaurierung – Naturwissenschaften im Dienste der Buchkultur, Bonn, o.J.
SCHÄFFEL, Klaus-Peter: Das Schreiben und Malen auf Pergament, 2011, abrufbar unter: www.schäffel.ch/materialien, eingesehen am 04.09.21
STEINMANN, Martin: Handschriften im Mittelalter – Eine Quellensammlung, Basel, 2013

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *